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Op Art and More 

Julia-Mengen als Wahrscheinlichkeitswellen

8. Attraktoren und Entscheidungsfreiheit

In seiner Monographie "Vorschlag einer Systemtheorie des Geistes", Cuvillier-Verlag Göttingen (2016) beschreibt Prof. Ralf Otte unter anderem das unterschiedliche Verhalten der Endzustände bei der Berechnung von Julia-Funktionen, die er als dynamisches, selbstorganisierendes Modell für Wahrnehmungs- und Bewusstwerdungsprozesse nutzt. Da in diesem Essay hier Schwarmverhalten von Gedankenprozessen postuliert wird, wird im Folgenden versucht, Ansatzpunkte für ein mögliches Schwarmverhalten zu finden.

Die Grafiken und Videos hier wurden 2024 erstellt.




Die hier in Grafiken verwendeten Iterationsverfahren basieren auf dem von Michael F. Barnsley beschriebenen Fluchtzeitalgorithmus. Die Berechnung von Endergebnissen nach Vorgabe einer Anzahl von Iterationen führen dabei bei einer konstanten Störgröße c zu unterschiedlichen Ergebnisklassen, wobei sich bei einigen Julia-Funktionen bei der Berechnung unter den Bedingungen der Hausdorff-Metrik Mengen mit kontraktierenden Berechnungsergebnissen herauskristallisieren, deren Grenzwerte zu Fixpunkten führen, die auch als Attraktoren bezeichnet werden:

Ralf Otte interpretiert die Bildung eines Attraktors (Typ 1) als das Erkennen als Folge einer Wahrnehmung bzw. eines Gedanken; Typ 2 als das Alternieren von Wahrnehmungen/Gedanken; Typ 3 als einen permanenten Fluss diskreter Zustände. Ausgehend von unbewussten Zuständen entspricht die Iteration einem rekursiven dynamischen Prozess, der bei der Konvergenz zu einem Attraktor als vorbewusster Zustand gedeutet wird. In Konkurrenz und Überlagerung mit anderen vorbewussten Zuständen (z.B. Erinnerungen) kann nach einer Wechselwirkung über die von Ralf Otte beschriebene Aufmerksamkeitsfunktion der Iterationsprozess zu einem bewussten mentalen Zustand kollabieren, bis schließlich neue Wahrnehmungen zu einem neuen Iterationsprozess führen. Michael F. Barnsley hat gezeigt, dass die Abbildung der Ergebnisse der Iterationen auf eine Riemannnsche Sphäre unter der Menge ℂ^ zu einem attraktiven Fixpunkt bei 0 (Südpol) führt und beim Fluchtverhalten bei ∞ zu einem repulsiven Fluchtpunkt am Nordpol. Übertragen auf eine Ebene entspricht diese Dynamik einer einfachen Möbiustransformation, bei der sich die Bildung der attraktiven Fixpunkte in Gestalt einer iterierenden Spirale vollzieht. Heinz-Otto Peitgen hat außerdem gezeigt, dass Iterierte Funktionensysteme nicht nur zu invarianten Punkten führen können, sondern statt dessen mehrere oder sogar unendlich viele Attraktoren besitzen können. Weiter unten werden einige Beispiele gezeigt.

Das von Ralf Otte definierte Modell der Bewusstwerdung, das ebenfalls auf einem dynamischen, selbstorganisierenden Iterierten Funktionensystem aufbaut, steht bisher nicht im Widerspruch zu dem schon mehrfach genannten Schwingungsprozess, der von Lama Anagarika Govinda beschrieben wurde, und auch nicht zu dem etwas gröberen Modell über den Gedankenprozess der 3 Nen von Katsuki Sekida, weswegen das Modell der 3 Nen zunächst kurz beschrieben wird, dessen Schwerpunkt auf der Modellierung des Gedankenpozesses liegt. Die 3-stufige Struktur der 3 Nen zeigt Ähnlichkeiten mit dem ebenfalls 3-stufigen Modell von Ralf Otte, wobei aber das Modell der 3 Nen nicht auf iterativen Berechnungen beruht.

Das Modell der 3 Nen entspricht im weitesten Sinne einem fortlaufenden, rekursiven Zustandssystem, bei dem permanent neue rückbezügliche Zustände mit 3 unterschiedlichen Qualitäten gebildet und vernetzt werden. Das endlos fortlaufende Zustandssystem entspricht dabei dem Graph einer endlosen fortlaufenden Baumstruktur mit rückbezüglichen Verbindungen, wobei jeder neue Zustandsknoten dem gerade in diesem Moment entstehenden Bewusstseinsmoment bzw. Wahrnehmungsmoment entspricht. Die folgende Aufstellung beschreibt in Kurzform die 3 verschiedenen Typen der 3 Nen sowie ihre möglichen Beziehungen untereinander:

(Die Grafiken zu den 3 Nen wurden übernommen aus Gedanken über Gedanken - Teil III)

3 Nen

Die Grundstruktur für die rückbezüglichen 3 Nen zeigt das folgende Bild, bei dem hier vereinfacht aber nur eine vernetzte Listenstruktur verdeutlicht wird; die möglichen Verbindungen zu älter zurückliegenden Einflüssen/Erinnerungen/Gedanken aus denen sich eine Baumstruktur ergibt, sind hier nicht dargestellt (in diesem Bild sind bei dem 1. und 2. Nen auf der rechten Seite rückbezügliche Verzweigungen des Baums lediglich angedeutet). Weitergehende Beispiele in Verbindung mit semantischen und emotionalen Inhalten findet man bei Katsuki Sekida. Er führt dort auch besondere Formationen der 3 Nen auf, aus denen sich pathologische Geisteszustände oder auch nonduales Erleben ableiten lassen.

Nen Baum

Auch das von Lama Anagarika Govinda beschriebene Schwingungsmodell, das auf Beschreibungen von Buddhagosa aus dem 5. Jahrhundert beruht, lässt sich inhaltlich mit dem Modell der 3 Nen und auch mit dem Modell von Ralf Otte weitgehend zur Deckung bringen, wobei das Modell der 3 Nen von Katsuki Sekida hier schon sehr vereinfachend gegenüber dem von Lama Anagarika Govinda beschriebenen Schwingungsmodell erscheint. Die schon im Abschnitt "5. Simulationen" beschriebenen Schwingungen des Schwingungsmodells kann man vermutlich mit dem Iterationsprozess bei Julia-Funktionen gleichsetzen. Die dort beschriebenen 17 Schwingungen entsprechen dabei dem kleinstmöglichen Schwingungsprozess einer Wahrnehmung bis zur Bewusstwerdung des Selbst (komplexere Schwingungsmuster geben dann semantisch vergleichbare Inhalte wieder, wie sie auch von dem Modell der 3 Nen gebildet werden können). Lama Anagarika Govinda beschreibt Ausarbeitungen von Shwe Zan Aung, demzufolge eine Prozessabfolge von 4 Prozessen (vîthi) nach mehreren hunderttausend Wiederholungen dazu führen, dass aus der Betrachtung beispielsweise einer Rose, aus den bei dieser Prozessfolge entstehenden Teilbildern sich das Gesamtbild einer Rose im Geist ergibt. Ähnliches gilt auch für die Prozessabfolge beim Sprechen von Worten. Wegen der größeren Ähnlichkeit des Schwingungsmodells mit Iterierten Funktionensystemen, deren Attraktoren Julia-Mengen/-Flächen sind, werden im Folgenden einige Grafiken vorgestellt, aus denen sich eine Beziehung zwischen den Schwingungen und den Attraktoren konstruieren lassen sollte; eine schlüssige Verbindung zwischen dem Schwingungsmodell von Lama Anagarika Govinda und dem Modell von Ralf Otte zeigt sich dabei aber noch nicht.


Der Schwingungsprozess von Julia-Mengen/-Flächen als Möbiustransformation in der Ebene

Zunächst einige Beispiele, bei denen Attraktoren gebildet werden. Dabei wird die Störgröße c derart gewählt, dass als Ergebnis Julia-Mengen und -Flächen gebildet werden. Die Störgröße c wird in diesen Beispielen auch gleichzeitig als Startwert für die Berechnung des Attraktors verwendet. Grundsätzlich gilt, dass die gesamte innere Fläche der Julia-Funktion einem Attraktor entspricht. Bei den hier verwendeten Einzelberechnungen von Attraktoren werden die Iterationsschritte durch (transparente) Linien, Punkte, Symbole und Farben kenntlich gemacht.

Symbolik:


Zunächst werden Beispiele für verschiedene Attraktoren und Trajektorien gezeigt, bei denen noch kein Bezug auf die Zahl von Schwingungen wie von Lama Anagarika Govinda genommen wird.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Berechnungen der Attraktoren, Trajektorien sowie deren grafische Darstellungen erst nachträglich in den Algorithmus zur Berechnung von Julia-Mengen integriert wurden, so dass Fehler derzeit nicht ausgeschlossen werden können.



Serie 1: Allgemeine Beispiele mit Identität zwischen Startwert und Störgröße

Bild 1 zeigt die Bildung einer Trajektorie in den Attraktor nach 50 Iterationen. Dabei zeigt sich eine um einen Mittelpunkt bestehende Schwingung der einzelnen Iterationsschritte mit abnehmender Distanz vom Mittelpunkt. Ein abschließender zentraler Mittelpunkt hat sich noch nicht gebildet (roter Endpunkt). Nach 500 Iterationen (Bild 2) erreicht der Hutchinson-Operator W eine weitere Annäherung an den Mittelpunkt (fast zentraler roter Endpunkt).

Bild 3 zeigt die Vergrößerung des zentralen Bereichs der Trajektorie. Der Endpunkt liegt strebt auf einen zentralen Punkt zu. Die Anordnung der Zwischenergebnisse aus den einzelnen Iterationsschritten (graue Punkte) lässt den Schluss zu, dass man die gesamte Julia-Menge bzw. Fläche in eine Schwingung versetzen kann, indem man die Störgröße c nach jedem Iterationsschritt auf das letzte Zwischenergebnis setzt: ci+1=ci

In den Bildern 1-3 zeigt sich, dass einige wenige Zwischenergebnisse der Iteration (graue Punkte) nicht jeweils eine Eingangs- und Ausgangslinie aufweisen, sondern anscheinend nur eine Verbindungslinie aufweisen. Hier wäre zu prüfen, ob Ein- und Ausgang auf einer Geraden liegen oder sogar zum Vorgängerpunkt zurück führen.

Bild 4 zeigt eine stark alternierende Trajektorie, die sich keinem zentralen Attraktorpunkt annähert. Auch hier wäre noch zu prüfen, welche Arten von Schwingungen entstehen, wenn man die Störgröße nach jedem Iterationsschritt auf das Vorgängerergebnis setzt: ci+1=ci

Bild 5 zeigt ansatzweise einen Orbit dicht an der Julia-Menge, der allerdings bereits nach wenigen Iterationen als Fluchtpunkt endet und somit einem Seltsamen Attraktor nur ansatzweise nahekommt. (Der rote Endpunkt liegt knapp außerhalb der umhüllenden Menge der Julia-Menge, so dass der Berechnungsalgorithmus hier abbricht).


Serie 2: Beispiele mit multiplen Startwerten

Bei den Bildern der Serie 2 wurden als Samples für die Berechnung von Trajektorien gitterförmig Startwerte angelegt, von denen aus die einzelnen Trajektorien in das Bild projiziert werden. In Abhängigkeit von der Darstellungsvariante können Endpunkte der Trajektorien (rot) ebenfalls angezeigt werden. Wegen der Dichte der Zwischenergebnisse werden keine grauen Markierungen mehr angezeigt und auch die exakten Startpositionen werden nicht hervorgehoben; es werden lediglich Trajektorien und ggf. die Endpunkte angezeigt. Die Endpunkte (rot) müssen bei einigen Einstellungen außerdem algorithmisch reduziert werden, damit nicht überladene Rasterflächen entstehen. Der Algorithmus reduziert aus optischen Gründen außerdem Endpunkte, die zu dicht ( < 3 Pixel ) am Startpunkt der Trajektorie liegen.

Bild 1 enthält dieselbe Störgröße wie bei Bild 1 aus Serie 1. Bei 50 Iterationen und 40401 Trajektorien zeigt sich auch hier, dass ein Attraktor mit einem einzelnen Endzustand nicht existiert. Vielmehr wird ein Attraktorbassin im Innern der Julia-Fläche sichtbar und viele Fluchtpunkte außerhalb der Julia-Menge.

Bild 2 enthält eine Ausschnittsvergrößerung aus dem Attraktorbassin von Bild 1. Die sich ergebenden Muster von Endpunkten variieren allerdings bei unterschiedlichen Einstellungen im Hinblick auf die Zahl von Trajektorien und Vergrößerungen; hier gezeigt wird aber lediglich das gewählte Beispiel mit den genannten Einstellungen.

Bei Bild 3 wurde die Zahl der Trajektorien bei gleichem Maßstab und Ausschnitt wie bei Bild 2 auf 167 reduziert, wobei aber gleichzeitig nur Startwerte auf der realen Achse zugelassen wurden. Hierdurch wurde die Struktur der Trajektorien der realen Achse hervorgehoben und die Struktur der Endpunkte reduziert.

Bild 4 zeigt Trajektorien, die weitgehend in Richtung ∞ streben. Hier wurde eine Störgröße gewählt, bei der keine Julia-Menge mehr entsteht, und ein Maßstab gewählt, der einen Blick auf ein äußeres Gebiet zulässt. Bei dieser Einstellung gibt es hier keine Cauchy-Folgen mehr, die zu gefangenen Punkten innerhalb einer Julia-Menge führen.

In Bild 5 werden zusätzlich die Fluchtpunkte ausgegeben, die nicht sofort in Richtung unendlich weisen. Es zeigt sich, dass sich scheinbare Häufungspunkte bzw. ein repulsives Attraktorbassin auch außerhalb einer Julia-Fläche bilden können. Eine mögliche Bedeutung eines derartigen Häufungspunktes und derartiger Trajektorien im Hinblick auf Unbewusstes wäre zu klären.

Deutungen:
1. Ein Attraktorbassin entsteht durch die von Jörg Nievergelt beschriebene Beschränktheit der Menge der Gleitkommazahlen G in Verbindung mit beschränkten Rechenregeln und ist daher nicht als real anzusehen.

2. Zu prüfen wäre, ob eine Möbiustransformation vorliegt, bei der (Häufungs)-Punkte im 1. Schritt in Richtung des Nordpols (∞) transferiert werden und anschließend durch die Transformation im 2. Schritt versetzt auf die Ebene zurück als Bassin projiziert werden.

3. Das außerhalb liegende Bassin von Bild 5 besitzt in etwa einen zweifachen Abstand vom Ursprung (Nullpunkt der Riemannschen Sphäre), der dem gewählten umhüllenden ε-Abstand entspricht, mit dem festgestellt wird, ob eine Konvergenz oder eine Divergenz vorliegt. Wahrscheinlich aber entspricht der Zentralpunkt des Bassins den Koordinaten der Störgröße c (das wurde aber hier nicht genau geprüft).


Die Endpunkte der Trajektorien innerhalb der Julia-Flächen weisen Muster auf (rote Punkte in den Bildern 2 und 3). Hieraus könnte sich ein Anhaltspunkt für ein mögliches Schwarmverhalten ergeben. Schwarmregeln basieren auf Nachbarschaftsbeziehungen; die sich zeigenden Muster könnten einen Hinweis auf Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Trajektorien durch gemeinsame Regelwerke, die sich von der iterativen Berechnung unterscheiden, geben, wie man es auch bei Schwärmen vorfinden kann (Beispiele siehe unten).

Zu prüfen wäre aber auch, ob das Verhalten der Attraktoren/Trajektorien sich aus den mathematischen Regeln auf Basis der Menge ℂ erschließen lässt. Falls ja, dann hätten sowohl die Attraktoren als auch die Trajektorien vermutlich eine im mathematischen Sinn reale Bedeutung. Falls nein, wäre zu prüfen, ob die Beschränktheit von G in Analogie zur Beschränktheit der Planck-Größe dennoch eine relativ-reale Wirklichkeit widerspiegelt, die als Bestandteil der physikalisch messbaren Welt angesehen werden kann.

Problematisch ist aber auch die Vorstellung einer Trajektorie, da es sich hier eigentlich um Sprünge handelt, wobei es sich eher fiktiv aus der Perspektive des betrachtenden Menschen um eine stetige geometrische Abfolge untereinander verbundener Punkte handelt. Hieraus resultiert erneut die Fragestellung nach der Stetigkeit von Raum und Zeit in Bezug auf Iterationsprozesse.

Bild 5 aus Serie 1 (oben) zeigt als Folge der gewählten Störgöße eine Struktur der Julia-Menge, die lediglich Fatou-Staub aufweist. Daher werden hier noch ein paar Darstellungen dieser Struktur in Verbindung mit Trajektorien vorgenommen.

Bei Bild 6 wurden nur 4 Iterationen durchgeführt, die noch Wahrscheinlichkeitsdichten aufweisen, aus denen sich nach dem Modell vom Lama Anagarika Govinda Beobachtungen im virtuellen Beobachtungsraum ableiten lassen sollten. Dargestellt ist ausschließlich eine Reihe von Trajektorien, die auf der realen Achse beginnen. Die Endpunkte aller Tajektorien sind rot markiert. Die zentrale rote Linie stellt diejenigen dicht beieinander liegenden Endpunkte dar, die auf der Realachse gestartet wurden und sofort wieder terminieren. Trajektorien innerhalb der ε-Sphäre führen teilweise zu Endpunkten, die noch innerhalb der ε-Sphäre liegen. Der Versatz paralleler, senkrechter Linien mit undefinierten Werten lässt vermuten, dass die Ursache in der Beschränktheit der Gleitkommamenge G und ihren Rechenregeln liegt.

Bei Bild 7 wurden die Trajektorien auch für die imaginären Werte gebildet. Hierbei zeigt sich ein Attraktorbassin innerhalb der ε-Sphäre.
In Analogie zu den Phasen der Bewusstwerdung findet nach Lama Anagarika Govinda mit der 4. Schwingung die Gewahrwerdung beim Prozess der Bewusstwerdung statt.

Im Vergleich dazu werden bei den Bildern 8 und 9 Trajektorien mit 50 Iterationen gegenübergestellt. In Bild 8 kann man die zunehmende Ausbildung eines Seltsamen Attraktors als Abhängigkeit vom Startpunkt der Trajektorie erkennen. Bei Bild 9 sieht man, dass das Attraktorbassin den zentralen Bereich der ε-Sphäre verlassen hat. Einige Endpunkte der Trajektorien liegen aber dennoch innerhalb der ε-Sphäre, so dass man vermuten kann, dass hier Ergebnisse entstanden sind, die auf vorbewusste geistige Zustände gemäß der Interpretation von Ralf Otte hinweisen.
(Zur besseren Sichtbarkeit der Endpunkte der Trajektorien innerhalb der ε-Sphäre wurden die grauen Trajektorien teilweise stark gedimmt.)

Bei 4 Iterationen zeigen die Wahrscheinlichkeitsdichten in kleinen Gebieten Werte, die grundsätzlich eine Messung ermöglichen sollten. Diese Messbarkeit nimmt aber mit steigender Iterationszahl ab, wie schon in Abschnitt "7. Grenzwerte" gezeigt:



Der Verlauf der Trajektorien insgesamt lässt die Vermutung zu, dass ein Iterationsablauf bei veränderlicher Störgröße mit ci+1=ci sich ein selbstregulierendes, bisweilen schwingendes Systemverhalten zeigt, bei dem sich die Struktur der Julia-Menge in vielen Fällen selbst stabilisiert, solange die Ergebnisse der Iterationen einer Cauchy-Folge entsprechen.


Serie 3 - Schwarmverhalten?

Im Raum steht auch noch das Postulat, dass Gedanken und Gedankenfolgen, -ketten sowie der Denkprozess an sich durch sich selbstorganisierende Schwarmregeln, die sich nach Ansicht im Dzogchen auf Basis einer inhärenten sich selbst organisierenden Intelligenz bilden und ausdrücken. Um hier einen Schritt weiter zu kommen, macht es Sinn, die Trajektorien, die in den Bildern Strukturen aufweisen, auf mögliche Regeln zu untersuchen. Als Analogie zu diesen Trajektorien kann man das folgende Video über das herkömmliche Schwarmverhalten mit der Gradientenregel (nach Craig Reynolds) ansehen, bei dem Nachbarschaftsgruppen ebenfalls zu virtuellen Trajektorien führen, die den Trajektorien in den Bildern oben ähneln:

Schwarmtrajektorien

(0:31 min)

hier klicken zum Start des Video

Das Video mit dem Schwarmverhalten und der Hervorhebung von Trajektorien ist ähnlich aufgebaut wie das Bewusstseinsmodell von Ralf Otte mit seinem Möglichkeitsfeld, der Übertragungsfunktion und dem virtuellen Beobachtungsfeld. Die kleinen roten Punkte im Video zeigen die scheinbar real vorhandenen Boids, die in unserer als real erscheinenden Umwelt einzelnen Schwarmmitgliedern (z.B. Fische) entsprechen. Der Prozess des Erkennens von Nachbarn, ihrer Bewegungsrichtung, der Abschätzung von Kollisionen, der Bewegungsannäherung auf einen Zielpunkt entspricht in Analogie der Übertragungsfunktion von Ralf Otte, bei der es zu einem Bewusstwerdungsprozess kommt. Die Entscheidung über eine einzuschlagende Zielrichtung erfolgt aber unter der Kontrolle der Schwarmregeln, die man als inhärent im Möglichkeitsfeld ansehen kann, wobei aus den potenziellen Bewegungsmöglichkeiten diejenige ausgewählt wird, die am besten zu den Schwarmregeln passt. Somit entspräche dieser Entscheidungsprozess einem Vorgang innerhalb des Möglichkeitsfeldes. Auch beim Menschen kann man einen vergleichbaren Entscheidungsprozess über die Libet-Experimente nachweisen (mit all den daraus sich ergebenden philosophischen Konsequenzen).

Ein wesentlicher Unterschied zu dem Modell von Ralf Otte besteht darin, dass die Berechnungen hier nicht mehr auf der Menge ℂ der komplexen Zahlen und ihrer hyperkomplexen Algebra beruhen, die bei der Umsetzung mit Software zu Einschränkungen durch Anwendung von Gleitkommaregeln und der Menge der Gleitkommazahlen G führen, sondern hier in dem Schwarmmodell auf der Menge der ganzen Zahlen ℤ in Verbindung mit einer erweiterten Manhattanmetrik beruhen, die auch diagonale Bewegungen in einem Step zulässt. Als Konsequenz ergibt sich bei dem Schwarmmodell die Simulation in einer 2-dimensionalen Ebene (, die man mit erhöhtem Softwareaufwand in eine 3-dimensionale Simulation überführen könnte,) gegenüber dem Modell mit komplexen Zahlen, das sich in der 1. Dimension auf den Realanteil bezieht und in der 2. Dimension auf Wahrscheinlichkeiten bezieht. Weil man aber davon ausgehen kann, das auch bei Erhöhung von Dimensionen die Grundstruktur von Erscheinungsbildern grundsätzlich Gemeinsamkeiten aufweist, lassen sich auch Vergleiche zwischen diesen Modellen ziehen.

Das Schwarmmodell zeigt den Wechsel zwischen dem Möglichkeitsfeld und einer bidirektionalen Übertragungsfunktion, bei der die alten und neuen Positionen der Boids zwischen dem virtuellen Beobachtungsfeld und dem Möglichkeitsfeld hin und her gespiegelt werden. Die Wahrscheinlichkeiten aus dem Möglichkeitsfeld und ihre Selektion als Entscheidung ergeben sich dabei aber aus den Schwarmregeln, die in der Schwarmsimulation algorithmisch vollzogen werden.

Für den gesamten Prozess des Schwarmverhaltens besteht aus Sicht eines jeden Boids auch eine Beziehung zu den im Abschnitt "5. Simulationen" beschriebenen Skandha:

Lediglich bei Lebewesen mit einer Reflexionsfähigkeit des eigenen Bewusstseins und der reflexiven Erkenntnis aus einer Selbstbeobachtung (3. Nen im Modell von Katsuki Sekida) kann unter Umständen die Entscheidung im Unbewussten kurz vor der sich daraus ergebenden Handlungsausführung unterbrochen werden, so dass ein neuer Entscheidungsprozess oder eine alternative intuitive Entscheidung zur Ausführung gebracht werden kann. Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung zeitlich bereits vor Eintreten des 4. Skandha im Unbewussten geschieht. Das Wirken der Skandha 1-4 entspräche damit den Vorgängen in der Übertragungsfunktion und im virtuellen Beobachtungsfeld und denjenigen Schwarmregeln, die mit Wahrnehmung und Erkenntnis (also dem Intellekt im Sinne eines reflexiven Erkennens) zu tun haben; die inhärente Entscheidungsfindung auf Basis grundlegender Schwarmregeln im Dharmakaya entspräche dann den nicht-energetischen Wellenfunktionen im Möglichkeitsfeld.

Laut Chögyam Trungpa besteht ein reger Wechsel zwischen den 3 Kayas in beide Richtungen. Übertragen auf das Modell von Ralf Otte sollte daher auch dort ein bidirektionaler Wechsel mittels der Übertragungsfunktion erfolgen. Im Dzogchen geht man letztendlich (nach James Low oder Tenzin Wangyal Rinpoche) davon aus, dass das Modell der 3 Kayas seinen wesentlichen Sinn darin erfährt, Meditierenden die Qualitäten der 3 Kayas erfahren zu lassen, um daran anschließend zu erkennen, dass die 3 Kayas ein Konzept innerhalb eines einzigen "Raumes" darstellen, dem Dharmadhatu, aus dem alle Erscheinungen hervorgehen.

Um in einer ersten Annäherung zu sehen, ob es Ähnlichkeiten oder sogar Homologien zwischen Schwarmintelligenz und den anderen Modellen gibt, werden in den folgenden Beispielen die sich ergebenden Unterschiede innerhalb von Schwärmen gezeigt, die durch Variation der Schwarmregeln zu unterschiedlichen Schwarmstrukturen führen und auch den Einfluss der Trajektorien durch die Gradientenregel erkennen lassen. Die Schwarmregeln selbst (z.B. Kohäsion, Separation oder Alignment nach Craig Reynolds) sind hier allerdings nicht weiter beschrieben.

Symbolik:

Bild 1 zeigt die Trajektorien auf Basis der Gradientenregel bei einem Sichtfeld der Boids von 90 Grad, wie man es bei vielen Tierschwärmen vorfinden kann. Das Bild zeigt eine Aufteilung eines Schwarms in 2 Teilschwärme.

Bei Bild 2 wird gegenüber Bild 1 der Einfluss des Sichtfeldes auf die Schwarmstruktur bzw. das Schwarmverhalten gezeigt (wie beispielsweise bei einigen Fischarten). Hier ist der Schwarmzusammenhalt größer als bei einem kleineren Sichtfeld.

Bei Bild 3 wird an Stelle der Gradientenregel die Schwerpunktregel bei einem Sichtfeld von 90 Grad gezeigt, die zu vollkommen anderen Schwarmstrukturen führt, die man eher bei Insekten vorfinden kann.

Bei Bild 4 wird ebenfalls die einfachere Schwerpunktregel verwendet aber bei Nachbarschaftsbeziehungen mit nur 6 Nachbarn, wie man sie häufiger in Tierschwärmen vorfindet.

Hier in Bild 5 hat der Winkel des Sichtfeldes erheblich größere Auswirkungen auf die Schwarmstruktur. Es bilden sich viele kleine Teilschwärme, da nun die Schwerpunkte eng beieinander liegen und keine Trajektorien gebildet werden ähnlich wie bei Feuerfliegen (Photinus Carolinus). (Die Feuerfliegen sind allerdings in der Lage sich zusätzlich über periodische Leuchtsignale mittels Biolumineszenz zu synchronisieren, was ihnen erlaubt bei Dunkelheit Schwarmregeln zu befolgen.)

Die Anzahl vorhandener Boids sowie die Anzahl der Nachbarn, aus denen sich eine Nachbarschaftsgruppe zusammensetzt, bestimmen ebenfalls die Struktur von Schwärmen (Bild 6 und 7).

DIe Gegenüberstellung bei kleinerer Schwarmgröße mit Gradientenregel und unterschiedlichem Sichtfeld zeigen die Bilder 8 und 9. Hier sind die Unterschiede ebenfalls erkennbar wie bei den Beispielen von Bild 1 und 2. Das größere Sichtfeld (Bild 9) führt hier ebenfalls zu einer höheren Dynamik im Schwarm ähnlich wie bei Bild 2. Bei Bild 9 bildet sich aus 2 Teilschwärmen ein gemeinsamer Schwarm. Bild 8 zeigt eine (vorübergehende) Konzentration auf einen (vorübergehenden) gemeinsamen Schwarmschwerpunkt, der von den Boids aber bei den hier vorhandenen Schwarmregeln selbst nicht erkannt werden kann. Als Folge einer Mindestabstandsregel wird sich der gemeinsame Schwerpunkt in Kürze wieder auflösen.

Weitere Dynamisierungen, die in diesen Grafiken aber nicht dargestellt sind, werden sichtbar, wenn man eine variable Geschwindigkeitsregel für die Boids zulässt; die Grundprinzipien der Schwarmbildung bleiben dabei aber weitgehend unverändert.


Im Vergleich zu den grafischen Darstellungen mit den Trajektorien bei Julia-Funktionen ergeben sich größere (optische) Übereinstimmungen bei Schwarmregeln, die die Gradientenregel verwenden. Zu untersuchen wäre, welche Analogien zwischen der Auswahl einer Entscheidung vor Beginn der Iteration - also vor dem ersten sich ereignenden Startwert der Julia-Funktion auf Basis von Wahrscheinlichkeitswerten - und der Anwendung einer Schwarmregel inkl. inhärenter vorrangiger Entscheidung bestehen. Im Schwingungsmodell von Lama Anagarika Govinda entspräche das möglichen Vorgängen vor Beginn der ersten Schwingung. Im Modell von Katsuki Sekida würde die spontane Entscheidung im Unbewussten ohne weitere Untergliederung unter dem 1. Nen subsumiert.

Der größte Unterschied zwischen den Darstellungen von Wahrscheinlichkeitsdichten mit ihren Attraktoren und Trajektorien im Möglichkeitsfeld und den Schwarmbildern besteht in der Verwendung der zugrunde liegenden Zahlenmengen: dort ℂ, hier ℤ X ℤ und den fehlenden Wahrscheinlichkeitswerten im Schwarmmodell. Die Situation ist vergleichbar mit der im Abschnitt "6. Spiegelung" beschriebenen realen Achse im Beobachtungsfeld nach Anwendung eines künstlichen neuronalen Netzes auf die im Wahrscheinlichkeitsfeld vorliegenden Werte. Somit kann man die Schwarmbilder als Bestandteil einer Spiegelung sehen, wobei aber die Übertragungsfunktion bisher unbekannt ist. Allerdings verwendet die Simulation von Schwärmen ebenfalls Wahrscheinlichkeiten auf ihrer Ebene des Dharmakaya und auch auf der Ebene der Skandha, die dem virtuellen Beobachtungsfeld entsprächen.

Die hier aufgeführten Analogien stellen allerdings lediglich einen Hinweis dar, dass Iterierte Funktionssysteme mit Regeln der Schwarmintelligenz übereinstimmen könnten, wobei bislang unklar bleibt, wie Schwarmregeln aussehen müssten, um Julia-Fraktalen zu entsprechen, und umgekehrt, wie Julia-Funktionen oder andere Iterierte Funktionensysteme Schwarmstrukturen abbilden könnten. Bei beiden Vorgehensweisen handelt es sich um reduktionistische Modelle, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, sondern nur versuchen einen Hinweis auf Prozesse in der Natur zu geben; etwa in dem Sinne, wie ein Wegweiser, der nicht das Ziel darstellt, sondern nur einen Hinweis gibt, wo das Ziel möglicherweise gefunden werden kann. Nach Ansicht des Dzogchen ist eine Beschreibung niemals in der Lage auch das Ziel zu sein, sondern jede Beschreibung, jedes Gedankenkonstrukt, jedes Konzept stellt immer nur einen Wegweiser dar.

Einen Hinweis, wie Nachbarschaftsbeziehungen bzw. Schwarmregeln auf Ebene von Möglichkeitsfeldern aussehen könnten, kann man eventuell aus Interpretationen von David Bohm mit der von ihm beschriebenen impliziten Ordnung ableiten, die auch verträglich mit den Aussagen des Dzogchen ist.




Verbindung zwischen Nen und Möglichkeitsfeldern

Eine Angleichung zwischen dem Modell von Ralf Otte und den Modellen der 3 Nen oder dem Schwingungsmodell von Lama Anagarika Govinda im Hinblick auf Gedankenprozesse ist möglicherweise noch schwieriger.

Der Fluss der Gedanken, der sich durch die 3 Nen abbilden lässt, wird im Modell von Ralf Otte nicht direkt sichtbar, zumal hier intensiv der Wechsel zwischen Möglichkeitsfeld und Beobachtungsfeld über die Übertragungsfunktion das Erkennen des Flusses erschwert. Katsuki Sekida hat aber auch eine spezielle Folge von Nen beschrieben, bei der lediglich eine Kette der 1. Nen auftritt. Hierbei handelt es sich ausschließlich um nicht-konzeptuelle Gedanken, die unbewusst ablaufen. Das gezielte Ausschalten des 2. und 3. Nen ist dabei nur erfahrenen Meditierenden möglich. Die unbewusst entstehenden Gedanken sind unabhängig vom konzeptuellen Ich. Nach Chögyam Trungpa sind sie Bestandteil einer eigenen selbst-existierenden Intelligenz, aus der auf Basis einer Art bidirektionaler Verbindung (Übertragungsfunktion) zwischen Zufall im Sinne einer Wahrscheinlichkeit (Möglichkeitsfeld) und einem freien Willen Gedanken (virtuelles Beobachtungsfeld) spontan entstehen. Er sieht den Grund für diese Art des Denkens in einer bestimmten, selbst-existierenden Intelligenz, die mit der Gesamtheit in Verbindung steht, die präziser ist, die nicht verbal ist. Diese Form unbewusster Gedanken und den damit verbundenen Entscheidungen entspricht dabei dem Entscheidungsvorgang bei den Libet-Experimenten, die zeitlich vor einer konzeptuellen Entscheidung eines scheinbaren, konzeptuellen Ich entstehen.

29.04.2024: Ergänzung zum Thema "Freier Wille - Libet-Experimente"
Einen Hintergrund für diese Form nicht-bewusster Vorgänge, nicht-bewussten Handelns, nicht-bewusster Gedanken und Entscheidungen liefern die Messungen des Systemneurowissenschaftlers György Buzsáki. Aus seinen Messungen neuronaler Aktivitäten ging hervor, dass das früher bestehende Outside-In-Modell über die Wahrnehmung sensorischer Eindrücke in Verbindung mit Entscheidungen auf Basis eines freien Willens durch einen angenommenen Beobachter im Geist zu Widersprüchen beim Erkennen von Objekten führt.

Sein Resumee lautet: Neuronen in den visuellen Arealen im Kortex und auch in dem hypothetisch angenommenen "Beobachter", der eingehenden Signalen eine Bedeutung zuweisen sollte, können nicht "sehen", was in der Welt um sie herum geschieht. Es gibt keinen inneren Beobachter/Dolmetscher, der den sich ändernden Signalen der Neuronen eine Bedeutung zuweisen kann. Anstelle des widersprüchlichen Outside-In-Modells mit einem Beobachter beschrieb er ein Inside-Out-Modell, das ohne einen Beobachter auskommt und für das Erkennen/Sehen von Objekten vom Neokortex veranlasste motorische Bewegungen (z.B. Augen, Muskeln) voraussetzt, die in Form von Efferenzkopien zu einer (lernenden) neuronalen Verarbeitung führen, bei der Informationen mit sensorischen und übergeordneten Hirnbereichen geteilt werden.

Der hier beschriebene Sachverhalt zum freien Willen und dem Wahrnehmungsprozess stimmt mit Meditationsexperimenten überein. Wenn man bei einer bewegungslosen Meditation die bewusst werdenden Gedankenflüsse stoppt, Identifikationen von Objekten stoppt, Wertungen und Beurteilungen unterlässt und schließlich auch das Beobachten unterlässt, dann entsteht ein Zustand, bei dem nichts Dinghaftes mehr wahrgenommen wird. Es ist ein "Sehen, ohne etwas zu sehen", obwohl der Sehprozess weiterläuft; selbst Formen und Farben werden nicht mehr bewusst wahrgenommen; stattdessen entsteht im Geist ein optisches Gesamtbild, bei dem keine Einzelheiten/Formen/Farben bewusst werden. Der bewegungslose Zustand stellt sich beispielsweise ein, wenn die Augen nicht mehr auf einen Punkt gerichtet sind und nicht mehr fixiert wird. Wichtig ist dabei, dass die Sakkaden im Auge zur Ruhe kommen. Erst wenn es wieder zu Sakkaden kommt oder wenn ein bewegtes Objekt den Bildbereich der Augen durchquert (z.B. ein fliegender Vogel), entsteht eine neue Prozessfolge, bei der Wahrnehmungen wieder andersartig verarbeitet werden, wobei diese Verarbeitung unbewusst oder auch bewusst erfahren werden kann. Diese Form der Wahrnehmung entspricht dem 1. Nen von Katsuki Sekida, die in Abhängigkeit der Energie der Wahrnehmung als 2. und 3. Nen weiter bewusst werden kann. Auch das von György Buzsáki beschriebene Wirken des unbewusst arbeitenden neuronalen Netzes kann durch diese Form der Meditation erfahren werden: bewegte Objekte, wie Blätter im Wind, führen dagegen nicht zur Unterbrechung des "Sehens, ohne etwas zu sehen". Hier muss man davon ausgehen, dass das unbewusst arbeitende neuronale Netz die Bewegung von Blättern zwar erkennt, aber auf der unbewussten Ebene als nicht bedeutend bewertet. Diese Erkenntnis zeigt sich einem erst bei einer sofortigen Nachbetrachtung der Meditation beispielsweise nach erfolgter Wiederaktivierung der Sakkaden.

Dieser zumeist sehr schnelle Wechsel der geistigen Verarbeitung von nicht-bewusst zu bewusst, kann nicht direkt und auch nicht indirekt beobachtet werden. Der Dzogchen-Lehrer James Low benennt diesen Zustand als das Auftreten einer (kurzen) Ohnmacht hin zu einem bewussten Zustand. Buddhaghosa beschrieb diesen Wechsel im 5. Jahrhundert wie folgt (Übersetzung durch Alois Payer):

Wenn, während so der kontinuierliche Ablauf der Unterbewusstseinsmomente geschieht, die Sinnesorgane der Wesen geeignet sind, ein Objekt aufzunehmen, dann findet, wenn ein Sehobjekt in den Gesichtskreis eintritt, bedingt vom Sehobjekt eine Anregung (ghattana) des physischen Sehorgans statt. Kraft dieser Anregung geschieht eine Erregung (calana) des Unterbewusstseins. Daraufhin bricht der Strom der Unterbewusstseinsmomente ab und es entsteht ein funktionales Geistelement (kiriya-mano-dhatu). Dieses macht dieses Sehobjekt zum Objekt und erfüllt die Funktion des Aufmerkens (avajjana), indem es gleichsam den Unterbewusstseinsstrom unterbricht.

Herbert Guenther beschreibt zu dieser Thematik im Anklang an die Sicht der Quantenphysik 3 Phasenräume mit dazwischen bestehenden Symmetriebrechungen. Übertragen auf die 3 Nen umfasst der Phasenraum des 1. Nen dann das Unbewusste, das dem Dharmadhatu/dem Urgund entspräche. Jeder Phasenraum enthält das Potenzial aller Möglichkeiten. Hieraus ergibt sich für den 2. und 3. Nen abhängiges Entstehen, also eine Ursache-Wirkungsbeziehung. Dagegen können für den 1. Nen im Dharmadhatu keine Referenzpunkte oder konkrete Regeln und auch keine Ursache-Wirkungsbeziehungen erkannt werden. Auch der Übergang/der Symmetriebruch zwischen dem 1. und dem 2. Nen sowie auch das Zustandekommen von Entscheidungen in Verbindung mit dem Dharmadhatu sowie der potenziellen Bewusstwerdung des unbewussten 1. Nen entziehen sich der bewussten Wahrnehmung, bis sie schließlich als 2. oder 3. Nen als bewusst erkannt werden können.

Hieraus ergeben sich außerdem die oben erwähnten Aussagen Chögyam Trungpas, wonach Denkprozesse und Entscheidungen Ergebnis einer nicht bewussten selbst-existierenden Intelligenz sind, an die sich im Bewusstsein konzeptuelle/intellektuelle Gedanken (im 2. und 3. Nen) anschließen!

Die selbst-existierende Intelligenz stellt sicherlich ein Problem in Hinsicht auf ihre Deutung für Philosophien und Religionen dar, das innerhalb der Glaubenssysteme intellektuell gelöst werden muss, um nicht unglaubwürdig zu werden. Die theistischen Religionen haben es sich hier sehr leicht gemacht, indem sie als Absolutum einen Gott kreierten, der seinerseits als Kreationist angesehen wird. Wie die Vergangenheit zeigt, wird jede alternative Ansicht hierzu als Häresie verdammt.

Beispielsweise hat Arno Borst den Protokollen der katholischen Inquisition entnommen, dass die Anhänger von Almarich von Bene, die an der Pariser Universität im 12./13. Jahrhundert als Amalrikaner wirkten, eine neue pantheistische Philosophie auf den Grundlagen von Aristoteles, Johannes Eriugena, der Schule von Chartres und Ben Gabirol errichtet haben, bis die Amalrikaner durch die Inquisition auf dem Scheiterhaufen eliminiert wurden. Die neue Form des Pantheismus hatte Bezüge zu den Zielen der Waldenser und galt als Alternative zum damals ebenfalls bestehenden Katharismus.

Der Pantheismus mit der Gleichsetzung von Gott, Natur und Mensch stand den machtbewussten Päpsten natürlich im Wege, da im Pantheismus ein Papst als Mittler zwischen Gott und Mensch nicht mehr benötigt wird. Den meisten theistischen Religionen ist es bis heute nicht gelungen, die Erkenntnisse der Vergangenheit und auch die Aspekte von Gott vs. Teufel in ihren Doktrinen aufzunehmen. Meister Eckhart, der einige Zeit nach den Amalrikanern ebenfalls an der Pariser Universität Vorlesungen gehalten hat, werden die Probleme mit dem Pantheismus und der Inquisition nicht verborgen geblieben sein. In seinen Ausführungen bleibt Meister Eckhart daher sehr vorsichtig. In seinem Sermon XXIX "DEUS UNUS EST" beschreibt er das Wesen Gottes, das bei herkömmlich intellektueller Interpretation nicht im Widerspruch zur damaligen Theologie steht, das man aber gleichzeitig aus der Sicht der von ihm ebenfalls beschriebenen Meditationsform "Abgeschiedenheit des Geistes" interpretieren kann. Die Abgeschiedenheit des Geistes entspricht im tantrischen Buddhismus weitestgehend der Mahamudra-Meditation, bei der der oben beschriebene Symmetriebruch zwischen den Phasen erlebbar wird.

In den deutschen Übersetzungen werden dieser und auch andere Texte Meister Eckharts vom herkömmlichen Intellekt mit seinen konzeptuellen Erwägungen interpretiert. Da nur wenigen Menschen die von Chögyam Trungpa beschriebene Sichtweise eines andersartigen Denkens auf Basis einer selbst-existierenden Intelligenz zugänglich wird, kann man davon ausgehen, dass die Doppeldeutigkeit der Ausführungen Meister Eckharts damals ebenfalls unerkannt geblieben ist. Beispielsweise:
"UBI NOTA QUOD UNITAS SIVE UNUM VIDETUR PROPRIUM ET PROPRIETAS INTELLECTUS SOLIUS."
wird beispielsweise von Dietmar Mieth (2002) übersetzt und ist identisch mit der von Joseph Koch et al. vorher entstandenen Übersetzung, die im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1956-1987) entstand:
Hierzu bemerke, daß die Einheit oder das Eine das Eigentümliche und die Eigentümlichkeit des Intellekts allein zu sein scheint
Weiter heißt es (mit Übersetzung von Joseph Koch):
... DEUS VIDENS, DEUS VIDENTIUM, QUI SILICET INTELLEGIT ET SOLO INTELLECTU CAPITUR QUI EST INTELLECTUS SE TOTO.

"... der schauende Gott, der Gott der Schauenden, das heißt, der denkt und mit dem Intellekt allein erfaßt wird, der ganz und gar Intellekt ist."
Für diejenigen, die Erfahrungen mit Mahamudra-Meditation bzw. Meister Eckharts Form der Abgeschiedenheit des Geistes haben, bleibt diese hier verbal wiedergegebene Auffassung unzureichend. Das liegt auch daran, dass das Wort "INTELLECTUS" verwendet wurde, das im Deutschen mehrere Wortbedeutungen umfasst und im Laufe der Jahrhunderte auch mehrfach seinen Wortsinn veränderte.

Für die Sichtweise aus dem Mahamudra gibt es im Deutschen allerdings keinen befriedigenden Ausdruck. Den dafür im Tibetischen bestehenden Ausdruck "sems-nyid", der danach auch die Sichtweise Meister Eckharts wiedergeben sollte, übersetzt Herbert Guenther aus den Texten Padmasambhavas mit "Denken des Denkens; Denken an sich; reine Intensität des Denkens; das, was die geistige Substanz zu einer geistigen Substanz macht, geistige Anlagen; das was die Psyche zu dem macht, was sie ist; was unsere Mentalität zu einer Mentalität macht". Wenn man diese Bedeutungen anstelle des Begriffs "Intellekt" hinterlegt, ergibt sich auch ein anderes Verständnis für die von Dietmar Mieth oder Joseph Koch übersetzten Aussagen zu Gott.

In seiner Predigt "BEATI PAUPERES SPIRITU, QUONIAM IPSORUM EST REGNUM CAELORUM" zeigt Meister Eckhart, dass ihm Mahamudra bekannt ist, indem er sagt:
... er [der Mensch] muß vielmehr so ledig sein allen Wissens, daß er nicht wisse, noch erkenne, noch empfinde, daß Gott in ihm lebt; mehr noch; er soll ledig sein allen Erkennens, das in ihm lebendig ist.
Auch geht Meister Eckhart auf die Problematik des Verstehens seiner Aussagen ein, indem er ausdrückt, dass es von ihm Aussagen gibt, die dem herkömmlichen intellektuellen Verständnis (2. und 3. Nen, im Tibetischen sems-blo) entsprechen und andererseits Aussagen, die der Sicht des Denkens als solches (sems-nyid) entsprechen, bei der ausgehend vom 2. und 3. Nen eine Sicht auf den 1. Nen geworfen wird. Er sagt:
Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn, solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen; denn dies ist eine unverhüllte Wahrheit, die aus dem Herzen Gottes kommt.
Aus dieser Sicht heraus ist auch der folgende Text zu verstehen, der ebenfalls aus Sermon XXIX "DEUS UNUS EST" stammt. Hier ein wörtliches Zitat einer Übersetzung von Dietmar Mieth:
Der Intellekt ist ja im eigentlichen Sinnes Gottes, Gott aber ist einer. Wieviel also an Intellekt oder an Denkvermögen ein jedes hat, so viel hat es von Gott. Denn der eine Gott ist Intellekt, und der Intellekt ist der eine Gott. Daher ist Gott niemals und nirgends Gott außer im Intellekt. ... Zum Intellekt aufsteigen und sich ihm unterwerfen bedeutet also mit Gott vereinigt zu werden. Geeint werden, eines sein, ist eins mit Gott sein. Denn Gott ist einer, alles Sein neben dem Intellekt, außerhalb des Intellekts ist Geschöpf, ist erschaffbar, ist etwas anderes als Gott, ist nicht Gott, denn in Gott gibt es kein Anderes.
Der Vollständigkeit halber hier auch der Auszug aus dem Original-Text:
INTELLECTUS ENIM PROPRIE DEI EST, DEUS AUTEM UNUS. IGITUR QUANTUM HABET UNUMQUODQUE DE INTELLECTU SIVE DE INTELLECTUALI, TANTUM HABET DEI ET TANTUM DE UNO ET TANTUM DE ESSE UNUM CUM DEO. DEUS ENIM UNUS EST INTELLECTUS, ET INTELLECTUS EST DEUS UNUS. UNDE DEUS NUNQUAM ET NUSQUAM EST UT DEUS NISI IN INTELLECTU. ... ASCENDERE IGITUR AD INTELLECTUM, SUBDI IPSI, EST UNIRI DEO. UNIRI, UNUM ESSE, EST CUM DEUM ESSE. DEUS ENIM UNUS EST. OMNE ESSE PRAETER INTELLECTUM, EXTRA INTELLECTUM CREATURA EST, CREABILE EST, ALIUD EST A DEO, DEUS NON EST. IN DEO ENIM NON EST ALIUD.
Gegen diese Übersetzung Dietmar Mieths ist nichts einzuwenden (lediglich ein kleiner Flüchtigkeitsfehler im ersten Satz). Aber mit der weitergehenden Bedeutung des Begriffs "Intellekt" kommt man zu dem Ergebnis, dass Gott in seinem Aspekt als "vom Menschen getrennt" nicht konzeptuell denken kann, keine Bewertungen vornehmen kann und auch nicht einmal erkennen kann, was außerhalb von ihm geschieht. Das ist für das Christentum mit der Grundlage der Bibel und dem dort enthaltenen Dualismus natürlich eine nicht akzeptable, häretische Auslegung. Es gilt dann nicht einmal mehr die Aussage "Am Anfang war das Wort". Zu der Übersetzung des im lateinischen Text benutzten Wortes "LOGOS" sagt Meister Eckhart in seinem Sermon "GRATIA DOMINI NOSTRI JESU CHRISTI":
... Daher heißt es "Am Anfang war das Wort" (Joh 1,1), der LOGOS, wie der Grieche sagt, was Idee heißt.
Durch Meister Eckharts vorgenommene Richtigstellung beim Begriff "LOGOS", der umfangreichen unterschiedlichen Bedeutungen entsprechen kann, mit dem von ihm gewählten Begriff "Idee" ergibt sich ein neuer Sinn. Während der Begriff "Wort" mit konzeptuellem Denken verbunden ist, kann "Idee" hiervon frei sein und sich auf Spontanität oder einen Impuls beziehen, was beim Begriff "Wort" nicht der Fall ist. "Wort" bezieht sich auf den 2. und 3. Nen, während "Idee" eine Verknüpfung zum 1. Nen zulässt. Damit legt Meister Eckhart diesen Bibelspruch ganz anders aus; er zeigt, dass eine nonverbale Idee spontan geboren wird - ähnlich wie eine Vakuumfluktuation - , während verbale Gedanken erst nachfolgend greifen. Genau das entspricht den Messungen beim Libet-Experiment. Entscheidungen können entstehen, bevor das menschliche Bewusstsein oder der Intellekt aktiv werden. Das passt auch mit der vorherigen Deutung zu "INTELLECTUS" zusammen, dass Gott nicht konzeptuell denken kann, aber durch nonverbal getroffene Entscheidungen (1. Nen) wirken kann.

Einige Zeilen weiter zeigt sich, dass das buddhistische Prinzip der 3 Kayas starke Gemeinsamkeiten mit der Trinität aufweist. Meister Eckhart führt aus:
Der Vater ist der, aus dem alles der Wirkung nach, der Sohn der, durch den alles der Form nach, der Heilige Geist der, in dem alles dem Ziel nach ist. ...

Nicht gehört Gott zu allen Dingen, sondern er ist die Ursache und der Grund aller Dinge und er ist über allen und hat nicht teil an ihrer Zählung, Teilung oder Unterscheidung. Bemerke hierzu, daß das aus ihm nicht die Wirk-Ursache, sondern die Idee der Wirk-Ursache ist. Ähnlich ist das durch ihn die Idee der Form-Ursache und das in ihm der LOGOS oder die Idee der Ziel-Ursache.
Dieses Prinzip findet sich auch in dem Systementwurf Ralf Ottes mit seinen Möglichkeitsfeldern und den virtuellen Beobachtungsfeldern wieder, die mittels einer hyperkomplexen Algebra durch eine Übertragungsfunktion verknüpft werden. Hierin spiegelt sich auch das Prinzip der 3 Nen des Zen-Meisters Katsuki Sekida. Erst die (evolutionäre) Entwicklung des geistigen Vermögens wie beim Menschen hat es erlaubt, konzeptuelles Denken, Bewertungen usw. (2. und 3. Nen) vorzunehmen. Erst in dieser vollständigen Einheit Gottes mit einem konzeptuellen Verstand ist diese konzeptuelle Form des Denkens möglich; diese Einheit wird im tibetischen Buddhismus Svabhavikakaya genannt, der allerdings nontheistisch zu sehen ist. Mit seinen Aussagen nähert sich Meister Eckhart vorsichtig, aber nicht vollständig der Philosophie eines Panentheismus an. Hätten seine Inquisitoren diese Doppelbedeutung seiner Aussagen verstanden, wäre Meister Eckhart vermutlich ebenfalls auf dem Scheiterhaufen gelandet.

Wenn man vom Kreationismus und der dualistischen Trennung zwischen dem Erschaffenden (Gott) und dem Erschafften innerhalb der Aussagen Meister Eckhards absieht, dann kommt er auch dem Pantheismus sowie der monistischen buddhistischen Philosophie des Cittamatra der Yogacarins auf Basis des Lankavatara-Sutra nahe, die auf der absoluten Ebene das "EINE ALLUMFASSENDE BEWUSSTSEIN" (tib. citta) in einer Nur-Geist-Lehre ansehen (, die sich allerdings in einigen Aussagen von der Philosophie Nagarjunas, dem Madhyamaka, und dem Dzogchen unterscheidet). In all diesen und auch anderen Anschauugen stößt man dann auf die Frage, wie es zum Denken an sich, dem sems-nyid im 1. Nen kommt. Als nicht-theistische Antwort könnte man als Basis den von Ralf Otte definierten Raum aller Möglichkeiten ansehen, der durch Schwarmregeln in Verbindung mit Wahrscheinlichkeiten zu den von Chögyam Trungpa und Padmasambhava genannten Formen des Denkens führt. Die selbst-existierende Intelligenz könnte man dann als eine Form von Schwarmintelligenz ansehen.

Bei diesen Interpretationen muss einem aber klar sein, dass diese auf dem 2. und 3. Nen (sems-blo) beruhen, die ihrerseits auch auf Fehlinterpretationen beruhen können. Derartige Fehlinterpretationen werden vom subjektiven Ich (virtuelles Beobachtungsfeld bzw. 3. Nen) als Wahrheit aufgefasst, unabhängig davon was andere als Wahrheit ansehen und wie eine absolute Wahrheit im 1. Nen aussehen könnte. Aus dem Wesen der 3 Nen geht hervor, dass im Bereich des Relativen unbegrenzt viele Wahrheiten/Interpretationen gleichzeitig bestehen können. Vasilii V. Nalimov hat den Nachweis erbracht, dass Sprache bei ihrer Interpretation nicht nur zu unbegrenzt vielen Möglichkeiten führt, sondern dass die Zuweisung von Bedeutungen über eine Bedeutungsentwicklung (Semantik) bei Einzelindividuen und Gruppen über Jahre und Jahrhunderte hinweg auf Basis von Wahrscheinlichkeiten beruht, die der Bayes'schen Logik unterworfen sind. V.V. Nalimov zeigt, wie hierdurch auch eine Vieldimensionalität jeder einzelnen Persönlichkeit entsteht. Der von ihm verwendete mathematische Formalismus ist mit dem in der Quantenmechanik vergleichbar und sollte sich somit auch in den virtuellen Beobachtungsfeldern von Ralf Otte auffinden lassen.

In menschlichem Verhalten lässt sich vielfach Schwarmverhalten finden (z.B. La Ola-Welle, Straßenverkehr, Wahlen). In Bezug auf die Entdeckungen von V.V. Nalimov resultiert die Frage, ob Sprachsyntax als Schwarmregeln angesehen werden kann und ob Semantik auf Basis dieser Regeln einer Menge von Bedeutungen entspricht, wobei die durch die Bayes'sche Logik sich ergebenden Wahrscheinlichkeitswerte zur einer jeweils aktuellen Situation eine Bedeutung selektieren; das Ergebnis wäre dann das aktuelle Sprechgeschehen. Das Sprechgeschehen entspricht seinerseits verbalisierten Gedanken, so dass sich hier auch ein Modell für Denkprozesse auf Basis von Schwarmregeln in Verbindung mit Wahrscheinlichkeitswerten ergeben sollte. Nach V.V. Nalimov ergibt sich durch die Vision einer Welt, die auf Semantik und auf Wahrscheinlichkeiten mit Regeln der Bayes'schen Logik und einem Zufallsprinzip beruht, die Konsequenz, dass ein freier Wille nicht existiert. Ein freier Wille mit einem Bezug auf Ursache und Wirkung kann allenfalls als unscharf in Analogie zur Quantenmechanik charakterisiert werden. V.V. Nalimov zitiert hierzu Max Born:
[in quantum mechanics] we have the paradoxical situation that observable events obey laws of chance, but that the probability for these events itself spreads according to laws which are in all essential features causal laws.

V.V. Nalimov ergänzt hierzu:

Now if we deal with a quantum ensemble exhaustively described by a set of dynamic variables q1, q2, ..., which are measured simultaneously and independently, the probabilty of finding a definite value of the set is determined by the probability density

WM(q) = |ΨM(q)|2

The wave function WM is explicitly given as a function of the coordinates q. It determines the statistics of any measurement of the microsystem compatible wirh a macrosystem M which dictates the conditions for the changes in the microsystem (Blokhintsev, 1966). It is possible to speak of a proballistically determined potential for a certain behavior under certain macroconditions even for a single electron. Potentiality may be said to be a proballistically determined limit of freedom given to an electron.
Dies entspricht auch den Aussagen Ralf Ottes, wonach eine Wellenfunktion statistisch über Verschränkungskorrelationen auf ein Möglichkeitsfeld einwirken kann und deren Wahrscheinlichkeitsamplituden verändern kann, wodurch geistige Zustände auf materielle Strukturen einwirken können.

Unklar bleibt aber weiterhin, wie aus einer einzelnen Wellenfunktion ein Schwarm mit vielen "Teilnehmern" und "Nachbarschaftsbeziehungen" gebildet werden kann. Zu untersuchen wäre, ob über die Einwirkung von Störgrößen aus dem virtuellen Beobachtungsfeld eine Amplitudenmodulation der Wellenfunktion im Möglichkeitsfeld erzielt werden kann. Denkbar wäre dann, dass dies zu Überlagerungszuständen bezogen auf die Julia-Fläche führt. Die gleichzeitig vorhandenen Überlagerungen könnte man dann als Schwarm ansehen, dessen Schwarmmitglieder über Kohärenz als "Nachbarn" gelten könnten. Durch das oben beschriebene Auswahlverfahren würde dann bei einer hinreichend starken Impulsstärke mittels der Übertragungsfunktion (Spiegelung) eine Beobachtung im virtuellen Beobachtungsfeld als Folge einer Dekohärenz möglich. Dieser denkbare Prozess befände sich wiederum in Übereinstimmung mit dem Ablauf der 3 Nen. Katsuki Sekida beschreibt außerdem die Situation, dass bei unzureichender Impulsstärke des 1. Nen dieser 1. Nen vorübergehend oder dauernd in einer Art Ruhezustand verborgen bleiben kann (beispielsweise als verdrängte Erinnerungen in einem "Ozean" von Erinnerungen). Verborgene 1. Nen können aber durch bestimmte Bedingungen beim 2. oder 3. Nen (beispielsweise durch Psychotherapie) durch eine Art Resonanz ausgehend vom virtuellen Beobachtungsfeld auf eine höhere Impulsstärke gebracht werden, so dass ein derartiger 1. Nen sich wieder in die Baumstruktur der 3 Nen eingliedert und dann vom 2. und 3. Nen wieder erkannt werden können - ebenfalls in Übereinstimmung mit dem oben genannten Selektionsprozess. Die verborgenen 1. Nen könnten ihrerseits möglicherweise ebenfalls als Schwarm angesehen werden. Derartige Überlegungen bedürfen aber einer tiefer gehenden Prüfung; ebenso die Suche nach weiteren Alternativen für Schwarmprozesse innerhalb der Möglichkeitsfelder.


Im Hinblick auf Sprache lässt sich dann hier auch als Konsequenz ableiten, dass der Begriff "Gott" oder auch andere Sachverhalte des Absoluten sich nicht durch Sprache (syntaktisch und semantisch) abbilden lassen. Sprache kann hier allenfalls einen Hinweis darauf geben, wie man sich dem Absoluten geistig annähern kann und wie man beispielsweise durch Meditation Absolutes erleben kann. Sprache entspricht damit nur einem Wegweiser; den Weg gehen, muss dann jede/r selbst, um zu einem entsprechenden Erleben zu gelangen.

Bezogen auf die Libet-Experimente und die Frage nach der Entscheidungsfreiheit gibt es einen weiteren deutlichen Hinweis von Chögyam Trungpa, wobei er auf den Dharmakaya Bezug nimmt, den man stellvertretend für Ralf Ottes Möglichkeitsfelder ansehen kann. Zitat:
Der Dharmakaya ist durch nichts bedingt. Der Sprung wurde schon gemacht. Wenn wir uns eindeutig dafür entscheiden zu springen, sind wir schon gesprungen. Das Springen selbst ist wie eine Wiederholung oder etwas Überflüssiges. Wenn wir uns einmal entschieden haben zu springen, sind wir bereits gesprungen.
Im Dzogchen bleibt eine Polarität von Entscheidungsfreiheit und Determinismus ohne Bedeutung. James Low sagt hierzu, dass Handlungen aus der Spontanität des non-dualen Feldes entstehen.

Um sich den Denkprozessen als solchen (sems-nyid) im Dharmakaya bzw. in den Möglichkeitsfeldern besser annähern zu können, kann man versuchen, das Thema der 1. Nen von Katsuki Sekida in Anlehnung an die Möglichkeitsfelder mit dem Beispiel von Julia-Funktionen weiter zu betrachten. Aus Katsuki Sekidas Modell lässt sich eine Kette der 1. Nen ableiten, die modellhaft dem Denkprozess an sich (sems-nyid) ohne die konzeptuellen Gedanken des 2. und 3. Nen (sems-blo) entspricht. Dies entspräche dann dem von Meister Eckhart beschriebenen Denkprozess Gottes in seinem Aspekt einer Getrenntheit vom Menschen; dieser Denkprozess ließe dann auf absoluter Ebene (1. Nen) bei Auswahl von Alternativen/Möglichkeiten auf Basis ihrer Wahrscheinlichkeitswerte durch eine Schwarmintelligenz und auch auf Basis von Zufall das Treffen von Entscheidungen zu, ohne dass konzeptuelle Gedanken, Bewertungen, usw. berücksichtigt würden.

Diese Kette der 1. Nen lässt sich durch die folgende Grafik veranschaulichen:

1. Nen

Vielleicht lässt sich für diese einfacheren Gedankenketten leichter ein Abbild im Modell von Ralf Otte finden. Allerdings bleibt bei der Kette der 1. Nen offen, was innerhalb einer jeden Phase der Gedankenkette passiert. Die Kette der 1. Nen erscheint aber sehr ähnlich wie der Ablauf einzelner Trajektorien, die zur Ausbildung von Attraktoren innerhalb von Julia-Mengen führen. Vergleiche hierzu die Bilder 1-3 aus Serie 1 oben.

Bild 1 (Serie 4) zeigt den Startpunkt (weiß) und den Endpunkt (rot) einer Iteration einer Julia-Funktion mit stärker strukturierten Flächen.

Bei den Bildern 2-4 wurde als neue Störgröße c der Wert der 50. Iteration von Bild 1 angesetzt (ci+1=ci) und daran anschließend erneut 50 Iterationen ausgeführt. Es zeigt sich eine selbst gesteuerte Konsolidierung der Trajektorie, die gleichzeitig mit einer Harmonisierung der Julia-Fläche einhergeht, bei der sowohl die Verästelungen in der Struktur reduziert werden als auch die Wahrscheinlichkeitsdichten erhöht werden. Erkennbar ist dies an der einfacheren Struktur der Trajektorie und am Unterschied der Farbgebung innerhalb der teilweise rot gefärbten Julia-Fläche in Bild 1 gegenüber einer einheitlicheren, dunkleren Färbung in den Bildern 2-4.

Die Bilder 2-4 zeigen außerdem alternierende Endpunkte der Trajektorie, die von Ralf Otte als alternierende Wahrnehmungen gedeutet werden.

In Bild 5 wird der Beginn der Trajektorie nach der 3. Iteration gezeigt. Nach Anagarika Govinda beginnt erst nach dieser Schwingung die bewusst werdende Wahrnehmungsphase des 2. und 3. Nen. Im daran anschließenden Bild 6 wird für die 4. Iteration der aus der 3. Iteration berechnete Endzustand der Trajektorie als neue Störgröße verwendet. Dieser Prozess für c mit (ci+1=ci) müsste eigentlich auch bei der Berechnung des Attraktors wie bei Bild 1 mit 50 Iterationen durchgeführt werden, um den Konsolidierungsprozess genauer verfolgen zu können. Ob die Resultate dabei signifikant von der Trajektorie aus Bild 1 abweichen, wurde hier (noch) nicht untersucht. Das divergierende sich selbst organisierende Verhalten des Attraktors zeigt sich in den Bildern 7 und 8. Während eine direkte 16-fache Iteration bei Bild 7 mit unveränderlicher Störgröße c ein stabiles Ergebnis des Attraktors innerhalb der Julia-Fläche erzeugt, wird nach einer Übernahme der Störgröße c wie bei Bild 4 bei ebenfalls 16-facher Iteration ein repulsives Verhalten erzeugt. Das Auftreten eines repulsiven Endpunkts bei der 16. Iteration (bzw. hier bereits ab der 8. Iteration) würde nach dem Modell von Lama Anagarika Govinda bedeuten, dass eine Wahrnehmung erkannt und reflexiv-bewusst geworden ist, dass diese Wahrnehmung aber nicht zu einer vollständig selbst-reflexiven Empfindung geführt hat. Das wäre beispielsweise vergleichbar mit der Wahrnehmung eines Säugetieres.

Bisher nicht durchgeführt wurde eine Untersuchung, welche Ergebnisse im Regelfall entstehen, wenn man immer bei jedem Iterationsschritt c auf (ci+1 := ci) setzt, was bei einem sich selbst-organisierenden System zu erwarten wäre.

Generell muss aber gesagt werden, dass nicht klar ist, ob die Zahl der Schwingungen mit der Zahl der Iterationen übereinstimmt. Hier sind noch viele ungeklärte Annahmen im Spiel. Auch das Verhältnis zwischen den einzelnen Phasen in der Kette des 1. Nen und der Anzahl von Schwingungen ist ungeklärt wie auch die Auswirkungen auf das Iterierte Funktionensystem bei einem Wechsel von einem 1. Nen zum nächsten 1. Nen. Auch wie Schwarmregeln aussehen könnten, die der selbst-existierenden Intelligenz entsprechen, ist bisher vollkommen unbekannt und nach buddhistischer Auffassung auch nicht bestimmbar.